jump to navigation

„Lieber ständig übermüdet als ständig überwacht“ 1. Juli 2013

Posted by DL2MCD in Grund und Sätzliches, Pleiten, Pech und Pannen, Wie bitte?.
trackback

Ein heute längst vergessener Sponti-Spruch. Der sich überholt hat, weil wir längst nicht mehr die Wahl haben, beides sind.: Übermüdet, weil überarbeitet, und überwacht: Manche Arbeitgeber denken, die Mitarbeiter tun zuwenig und die USA denken, die Bösen tun zuviel.

Ja, was die USA sich leisten, ist oft heftig, und wer es ausquatscht, kommt nach Guatanamo, wird wegen sexueller Freizügigkeiten attackiert und weiß, daß er kein Leben mehr haben wird. Aber ist das mit anderen Geheimdiensten anders? Sind die Russen netter?

Und was uns betrifft, die Journalisten, ohne die das „Leaken“ nicht funktioniert, weil niemand von sich aus ausreichend schnell irgendwelche Webseiten oder Blogs lesen würde, die unbekannt sind:

Manche können den großen Coup landen, wie der Guardian nun mit der NSA-Affäre. Er wurde von Snowdon ausgewählt zur Zusammenarbeit.

Allerdings ist der Guardian wie aller Journalismus in der Krise, hat kein Geld und weiß nicht, wie lange er noch existieren kann.

Auch bei uns gibt es Medien, die einen Ruf haben wie der Guardian, Telepolis z.B. Es gab auch mal Zeiten, wo Telepolis solche Geschichten veröffentlichte, wie die Echelon-Recherchen von Christiane Schulzki-Haddouti.

Das allerdings ist vorbei, heute schreibt Telepolis meist nur noch aus dem Guardian ab. Christiane Schulzki-Haddouti landete nicht in Guatanamo, es ist relativ ungefährlich als Deutscher, über die Amis herzuziehen und selbst wenn man über den BND lästert, überlebt man das. Das ist der Unterschied zum „besseren Deutschland“, der DDR, da ging das nicht.

So sinnvoll es ist, ein kritisches Auge auf Amerika zu haben, ist es trotz allem doch vergleichsweise ungefährlich als Journalist. Kritische Berichterstattung über Rußland oder andere Nicht-Demokratien ist viel gefährlicher, vor allem direkt aus dem Land. Von den USA sind Journalisten zumindest noch nichtin Guatanamo interniert worden und aus den USA ausgewiesen wurden auch nur einzelne Kollegen.

Viel gefährlicher ist es, über Kriminelle im eigenen Land zu berichten, Abmahner, Abzocker und Machtbessessene: Die verleumden einen dann sofort gezielt beim Chef, und der sagt dann schon, daß er diese Art von Berichterstattung nicht wünscht, weil die Geld kostet. Weil ein Magazin wie Telepolis doch nicht die Rückendeckung des Verlags hat und da schon eine offensichtlich unsinnige Klage („Es ist unrichtig, daß ich ein Arschloch bin. Vielmehr ist es richtig, daß ich ein großes Arschloch bin!“), die 2500 € Gerichtskosten verursacht, das Jahresbudget des Magazins auffrißt.

Hinzu kommt, daß der Chef als gelernter Verschwörungstheoretiker üblicherweise jedem glaubt, nur nicht seinen Mitarbeitern – das macht das gezielte Attackieren und Verleumden von Journalisten so einfach, und das wissen die Kriminellen.

Ich will damit nicht die Abhörerei verharmlosen – wer da ins Fadenkreuz gerät, vor allem in das der Jungs aus dem eigenen Land, der hat nichts zu lachen. Und auch bald keine Freunde mehr, weil die mit hineingezogen werden. Ebenso geht es dem, der bei der normalen Polizei in Ungnade gefällt.

Ob die USA mich abhören, das allerdings interessiert mich weniger. Sie sind nicht mein Feind, nicht mal nach knapp vier Jahren Mitarbeit bei Telepolis und etlichen Artikeln über George W. Bush & Co. Ich darf auch heute noch in die USA einreisen oder die amerikanische Botschaft aufsuchen. Die NSA wird aus den so vermutlich längst herausgefundenen Zugangsdaten bei Ebay, Amazon und Paypal wohl auch nicht meine Konten plündern oder in meinem Namen und auf meine Kosten einkaufen. Oder meine Accounts übernehmen, um dann in meinem Namen E-Mails zu schreiben.

Ja, daß sie es könnten, das kann einem Angst machen, und es gibt leider solche Fälle, wie in diesem Portrait von Snowden dargelegt (warum erscheint sowas eigentlich nur in „linken“ Medien, haben die anderen etwa doch Angst vor der NSA?). Leute besoffen zu machen, um sie dann zu erpressen, ist schließlich uralte Geheimdienst-Taktik (im Film „North by North-West“ war es natürlich noch die böse Sowjetunion). Aber es sind immer noch Einzelfälle und die NSA käme niemals auf die Idee, zu verkünden, sie hätte einen Rechtsanspruch auf fremde Daten und deren Veröffentlichung – so wie es bei uns manche öffentlich-rechtlichen Medien tun.

Ja, das mag sehr resigniert klingen, aber ich finde es weniger schlimm, abgehört zu werden, solange man mir die Verbindungen zu meinen Freunden, Familie, Informanten und Autoren nicht einfach komplett per einstweiliger Verfügung oder Anordnung des Chefs kappt, gar noch meine Identität übernimmt. Und so unrichtig das Verhalten der NSA und anderer Geheimdienste auch ist, so stellt sich einerseits mal die Frage „Wie kann man es denn besser machen?“ – wer gar nicht abhört, wird mehr als nur einen 11. September erleben, und Terroristen treiben einen nun mal in einen Polizeistaat, erzeugen genau das, was sie anklagen, das ist bei uns viel ausgeprägter als in den USA – und andererseits die Frage, warum man über sowas berichten kann, aber über Leute, die einfach anderer Leute Accounts und Identität übernehmen oder als Kriminelle mit deren Daten mehr Schindluder treiben als NSA und BND gemeinsam, nicht berichtet werden darf? Warum da kein Chef hinter einem steht, sondern einem nur in den Rücken fällt und sich auf die Seite der Kriminellen stellt???

Kommentare»

No comments yet — be the first.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

%d Bloggern gefällt das: