Besuch im Stellwerk: Warum GSM-R kein Funkgerät ist 15. Februar 2016
Posted by DL2MCD in Grund und Sätzliches, Pleiten, Pech und Pannen.trackback
Ich durfte letztes Frühjahr eins der im Rahmen eines Pendlerprojekts zur Verfügung gestellten Elektroautos testen, was hochinteressant war. Auch für andere. Als ich gerade am Bahnhof Fotos von Auto und Ladeanlage machte, kam ich dabei mit jemand ins Gespräch, der im dortigen Stellwerk arbeitete. Das nennt man Fahrdienstleiter, ein sehr ehrenwerter Beruf, das Bahn-Äquivalent zum Fluglotsen, aber weit weniger bekannt.
Er lud mich ein, daß ich seinen Arbeitsplatz auch einmal besichtigen dürfe, was aber bis zum Herbst dauerte aufgrund ständiger familiärer Verpflichtungen sowie Bauarbeiten am Bahnnetz im Frühjahr 2015.
Es war ein hochinteressanter Nachmittag, und obwohl ich sogar fotografieren durfte, schrieb ich darüber bislang keinen Bericht, weil es doch ein sehr persönliches Gespräch wurde mit vielen Interna, und ich auch aus Sicherheitsgründen davon nicht zuviel preisgeben wollte.
So wird seit der Privatisierung der Bahn teils mehr mißgewirtschaftet als zuvor. Der hier immer wieder mal thematisierte Ärger mit der BEG ist ein Aspekt davon.
Ein anderer beispielsweise eine bei Winteranbruch just am Tag meines Besuchs zugefrorene Weiche und der darob brachliegende Bahnverkehr. Warum war die zugefroren? Die Heizung wurde im vorherigen Sommer von Gas auf Strom umgestellt – es benötigt etwa 20 kW, um so eine Weiche zu heizen – doch keine Leitung gelegt. Dies war vergessen worden und kann nun erst im nächsten Sommer nachgeholt werden.
Auch sind viele Weichen aus Kostengründen stillgelegt worden. Doch die Weichen, die ohnehin seltener gebraucht werden, sind auch nicht so oft zu erneuern. Jetzt hat der Bahnhof etliche Rangiermöglichkeiten weniger und so führen Störungen schneller zu Problemen, wie eben bei der eingefrorernen Weiche.
Ein anderes Ärgernis sind die Telekommunikationssysteme. Statt analoger Funktechnik – die betreffende UHF-Antenne war nach Auslaufen der Verträge vom Dach des Stellwerks gerupft worden – wird mittlerweile GSM-R benutzt. Das ist ein für die Bahnbedürfnisse (R steht für Railroad) modifiziertes GSM-Netz. Also Mobilfunk-Handy-Netz.
Sowas ist schön zum Telefonieren, wenn man eine bestimmte Person ohne extremen Zeitdruck direkt erreichen will.
Es ist weniger nützlich, wenn man mehrere Leute ganz ganz schnell gleichzeitig erreichen muß – man kann ja nur einen nach dem anderen anrufen, und die hören sich dann auch untereinander nicht.
Im Notfall ist ein Telefonnetz eben kein Funknetz.
Zwar hat die Bahn in ihr GSM-R einige Notfunktionen eingebaut. Da wird dann auch mal eine Leitung freigemacht, so wie beim Wählen der 112 im normalen Handynetz. Und immerhin läuft das System, das zu gleicher Zeit 1993 startende Tetrapol, der digitale Polizei- und Behördenfunk, läuft ja bis heute nicht so, wie gedacht.
Aber die klassische „Notfrequenz“, die gibt es dank Digitalisierung auch im Seefunk heute nicht mehr.
Vielleicht hätte das die entscheidenden Sekunden gerettet, als ein Fahrdienstleiter in Bad Aibling – der übrigens komischerweise im Erdgeschoß am Bahnsteig saß, nicht wie hier weit über dem Geschehen – großen Mist gebaut hatte und zwei Züge auf dasselbe Gleis schickte. Er hat es noch bemerkt und wollte die beiden Lokführer warnen, doch es war zu spät.
In dem Stellwerk, das ich besichtigt habe, gibt es noch analoge Kommunikationsmöglichkeiten – ein Festnetztelefon, das nicht Voip oder GSM-R ist, und ein analoges Funkgerät. Eins der Systeme dürfte es eigentlich nicht mehr geben, doch auch viele Zug- und Lokführer haben diese Geräte und nutzen sie für Absprachen statt der ständigen Telefoniererei, die auch über Kurzwahltasten einfach nervt.
Wir sprachen auch noch über die Frage, ob ein Lokführer so durchdrehen kann wie der Copilot der German Wings-Maschine. Nein, das kann er nicht, weil a) die Gleise durch Sicherungssysteme gegen Kollisionen geschützt sind und ein Lokführer gar kein rotes Signal mit höherer Geschwindigkeit willentlich überfahren kann, b) wüßte er auch nicht, was ihn dort dann erwartet. Oft wäre die Strecke dennoch frei. Ein gewollter Crash ist kaum möglich.
Ein Fahrdienstleiter kann Sicherungssysteme umgehen, das haben wir ja nun gerade gesehen. Im Normalfall tut er es aber nicht und es wird keiner absichtlich tun, um einen Crash auszulösen. Das ist auch bei Fluglotsen niemals vorgekommen, während Piloten leider schon öfters ihr Flugzeug samt Passagieren absichtlich gecrasht haben. Doch der Fahrdienstleiter, der den Mist in Bad Aibling gebaut hat, wird darunter sicher ebenso heftig leiden wie Fluglotsen, die einen Unfall verursacht haben. Man kann noch froh sein, wenn ihn nicht einer der Familienmitglieder der Getöteten umbringt, so wie es dem Fluglotsen erging, der einst am Crash von Überlingen Schuld war.
Auch wenn es natürlich schreckliche Ausnahmen gibt: Die Bahn ist und bleibt das sicherste Verkehrsmittel. Dank nun über hundertjähriger Erfahrung und einfach, weil der Lokführer im Gegensatz zu Auto oder Flugzeug nicht lenken muß. Nicht schon ein unaufmerksamer Moment ales beenden kann. Bei der Bahn muß schon wirklich die Mißachtung von Sicherungsmaßnahmen oder ordentlicher Wartung (wie in Eschede) stattfinden, um heute noch größere Unfälle auszulösen.
Allerdings sollten die Fahrdienstleiter, vor allem jene mit Erfahrung, gefragt werden, wenn es um die Einrichtung ihres Arbeitsplatzes geht. Manche moderne Technik, das externe Berater für sinnvoll halten, ist der Sicherheit und dem reibungslosen Betriebsablauf gar nicht zuträglich, sondern lediglich der Kostenersparnis. Das von mir besichtigte Stellwerk ist nicht das modernste – es arbeitet noch mit Relaistechnik, ohne Computer. Aber ein sehr sicheres und störungsfreies und auch ordentlich aufgebautes.
PS: Zwei Bilder von Bildschirmanzeigen behalte ich auch weiterhin für mich. Auf ihnen würde man Ort und Zeit der Aufnahmen genau erkennen. Und ich will nicht, daß der Fahrdienstleiter, der mir diesen interessanten Nachmittag ermöglicht hat, Ärger bekommt. Denn er darf wohl Besucher haben – außer seiner Mutter ist dies aber normal niemand. Aber es könnte ja trotzdem irgendwer stänkern, das weiß man nie.
Das Stellwerk schaut also nicht ganz so unmodern aus, wie man von den Bildern glauben mag. Zumal die Mitarbeiter die Räume auch teils mit noch älteren Eisenbahngegenständen ausstaffiert haben, sodaß es dort auf den ersten Blick fast wie in einem Museum aussieht. Eigentlich schade, daß dies normal niemand zu sehen bekommt. Aber zuviel Ablenkung ist für einen Fahrdienstleiter sicher nicht gut. Ich habe immer sofort geschwiegen, wenn irgendein Telefon oder Funkgerät losging, aber ob jeder Besucher so vernünftig wäre und dann nicht doch mal was untergeht…
[…] ist nicht nur langsamer als ein echtes Funksystem, weil es die Verbindungen einzeln über Telefonanwahl aufbaut. Es ist auch nicht flächendeckend […]
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