Ende einer Chefredaktion: Wie im Journalismus verdiente Mitarbeiter in die Rente geschickt werden 8. April 2013
Posted by DL2MCD in Pleiten, Pech und Pannen.trackback
Dieser Tage hat es mal wieder spektaktulär gescheppert in der Branche: Dominik Grollmann, Chefredakteur der Internet World, wurde geräuschvoll rausgeworfen.
Anderswo würde man davon ausgehen, der Kollege müsse goldene Löffel geklaut haben, um nach so langer Zeit so unwürdig abgehen zu müssen. In dem Verlag ist sowas dagegen schon öfters vorgekommen – und nicht nur da. Mir fiel die nachfolgende Geschichte wieder ein, auch nur ein Fall von vielen. Geschrieben für den BJV-Report, doch wollten die es nur mit Namen von Verlag und Chefredakteur veröffentlichen, was ich wiederum nicht wollte, da der ehemalige Chefredakteur nur noch seine Ruhe und von der Branche nichts mehr wissen will und ich wiederum mit dem Verlag auch heute noch zu tun und an einer Auseinandersetzung kein Interesse habe.
Es sei aber eine Warnung an alle, die mit diesem Beruf liebäugeln – und auch ein Hinweis an die Generation Praktikum, die denkt, die Alten hätten es besser und würden noch fair behandelt. Nein – im Journalismus wird niemand fair behandelt!
Ende einer Journalistenkarriere
Unwürdige Verabschiedung eines Chefredakteurs
Von DL2MCD
Davon träumen viele Kollegen, gerade in der aktuellen Krise: Eines Tages mit Dank und Ehrungen die wohlverdiente Rente antreten zu können, nachdem sie ihr Magazin 20 Jahre durch Höhen und Tiefen gesteuert haben. Leider nur ein Traum. Die Realität sieht meist anders aus.
Hans W.* war ein typischer Quereinsteiger, die ja oft die besten Journalisten ergeben: Er hatte bereits in der Industrie und in Lehrtätigkeiten gearbeitet, wusste somit einerseits in seinem technischen Fachgebiet bestens Bescheid, hatte andererseits auch die didaktischen und sprachlichen Fähigkeiten, die einem Redakteur gerade im Technikbereich sehr zugute kommen.
Nach einem Jahr in einem typischen „Einsteigerverlag“ hatte er bei einem marktbestimmenden Magazin seine Berufung gefunden: Einige Jahre war Hans W. als normaler Redakteur tätig, dann übernahm er die Chefredaktion. Ein ruhiger, vernünftiger, sachkundiger, integrer und rundum beliebter Kollege, der auch einen Besitzerwechsel des Verlags und mitunter wilde Zukunftspläne des Verlegers souverän abfing.
Als Hans W. 60 wurde, machte er sich als vorausplanender Mensch Gedanken, wer wohl sein Nachfolger werden solle. So ein, zwei Kollegen hielt er dafür durchaus für geeignet und schlug seinem Verleger vor, doch in dieser Richtung aktiv zu werden, damit er diesen bereits langsam einarbeiten könnte.
Dass der Verleger seinem Vorschlag gefolgt war, erfuhr Hans W. jedoch nur mittelbar: Ein Headhunter war eingeschaltet worden, Insider erkannten Hans W.’s Magazin und fragten ihn nach der ausgeschriebenen Stelle. Doch an der Auswahl des neuen Chefredakteurs in spé wurde er nicht beteiligt.
Der Auserkorene war zwar ein guter Mann, doch branchenfremd und deshalb der Aufgabe nicht gewachsen. Er wurde nach nur sechs Wochen vom Verleger lautstark wieder verabschiedet. Ein saftiger Karriereknick.
Der Headhunter kontaktierte nun die im ersten Durchgang abgewählten Kandidaten. Doch keiner war mehr bereit, sich auf den „heißen Stuhl“ zu begeben: Zu offensichtlich war, dass man nur entweder den Wünschen des Verlegers Folge leisten konnte – was nicht gut für das Blatt gewesen wäre – oder tun konnte, was richtig war, und damit beim Verleger durchzufallen.
Das Thema „Chefredaktions-Nachfolge“ verschwand von der Tagesordnung, obwohl sich über die Jahre wohl fast jeder aus der Branche irgendwann einmal bewarb und teils über ein Jahr hingehalten wurde. Hans W. hatte also weiter viel zu tun, aber machte sich Sorgen um eine geregelte Übergabe. Schließlich hatte er durchaus angedacht, gegebenenfalls auch ein paar Monate eher zu gehen, wenn er sein „Baby“ in guten Händen wusste. Doch das war nun illusorisch.
Schließlich wurde Hans W. 64., das erwartete Ende rückte näher. Der Verleger war sich mittlerweile gar nicht mehr sicher, ob er die Zeitschrift nach dem Auslaufen der Tätigkeit von Hans W. überhaupt noch weiterführen wollte und fragte sogar die weiter hartnäckigen Bewerber, ob sie dem Blatt noch Chancen gäben.
Doch hatte der Vertrag von Hans W. einen kleinen Fehler: Der gängige Satz fehlte, dass das Anstellungsverhältnis mit dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters automatisch ende. Nach 20 Jahren Anstellung galt nun ein ganzes Jahr Kündigungsfrist – und keine der beiden Parteien hatte gekündigt.
Im Februar 2009 würde Hans W. 65 werden – doch war immer noch kein Nachfolger in Sicht! Also ging er noch einmal auf die alle zwei Jahre stattfindende Branchenmesse – dies hatte er gar nicht mehr erwartet.
Jetzt wurde der Verleger allerdings doch fündig: Er warb einen – leider wieder einmal etwas branchenfremden – Chefredakteur eines anderen Verlags ab. Und nun war Hans W. nach 20 Jahren schlagartig zu lästigem Ballast mutiert: Er sollte noch vor Jahresende abtreten, sich den letzten Monat vor der Rente auf dem Arbeitsamt melden.
Hans W. hätte eine Vertragsauflösung zum Renteneintritt akzeptiert. Doch nun als Dank für seine Dienste wegen nur eines Monats aufs Arbeitsamt geschickt zu werden, das tat weh. Zudem wurde er sofort freigestellt, erhielt Hausverbot, konnte niemand mehr informieren und auch die geplanten Messereportagen nicht mehr schreiben. Seine Kündigung wurde nun auf Mitte Dezember vorverlegt – als kleines Weihnachtsgeschenk.
Schofel? Ach nein, es kam noch dicker: Als dritte Variante des Themas wurde schließlich noch eine fristlose Kündigung nachgeschoben – wegen angeblichen Spesenbetrugs nach 20 Jahren ohne irgendwelche Probleme. Das hätte eine Sperre beim Arbeitsamt bedeutet.
Jetzt war die Geduld von Hans W. am Ende: Ein Anwalt wurde hinzugezogen, der Fall ging vor Gericht. Das Ergebnis? Der Verleger musste Hans W. nun bis Mitte 2009 bezahlen.
Ende gut, alles gut? Natürlich nicht. Hans W. hat so zwar am Ende mehr Geld erhalten, als er ursprünglich überhaupt wollte, doch war es ein „unehrenhafter“ Abgang. Hans W. hatte 20 Jahre Freundschaften und Kontakte aufgebaut und konnte sich am Ende nicht einmal von seinen Lesern verabschieden.
Skandalös? Nein, ganz normal in unserer Branche. Es gibt weit größere Schweinereien.
*Name von der Redaktion geändert
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