Schlechte Laune ist Pflicht 8. Juni 2010
Posted by DL2MCD in Grund und Sätzliches.Tags: Florian Rötzer, Telepolis
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Auffallend ist, wie sehr Journalismus in den höheren Etagen eine komplett humorbefreite Szene ist. Wer da mal versehentlich über einen Witz lachen muß, geht sofort schuldbewußt in Sack und Asche in den Keller, sperrt sich ein, wirft den Schlüssel ins Klo und zieht. Leider ruft dann doch immer noch irgendwer den Schlüsseldienst…
Artikel müssen staubtrocken sein, ohne Witze – selbst wenn diese z.B. in der betreffenden Branche Tradition haben, werden sie rausgekürzt. Der Leser darf doch beim Lesen um Gotteswillen keinen Spaß haben! Das ist Arbeit! Und dem Schreiber hat es ebenso zu gehen. Selbst über völlig nebensächliche Tagesereignisse müssen drei verbiesterte, verpolitisierte, haßerfüllte oder zumindest scheinbar intellektuell völlig über der Dudelmusik stehende Rants abgelassen werden, statt das doch angeblich so unwichtige Ereignis einfach zu ignorieren. Aber nein, wenn alle anderen damit Schlagzeilen machen, da muß man doch auch, ob man mag oder nicht.
Urlaub? Ist zwar zu nehmen, sonst verfällt er (ausgezahlt wird nicht, denn das kostet ja Geld!!!). Aber der Redakteur hat dann trotzdem weiter mindestens einen tagesaktuellen Artikel pro Tag zu liefern und nicht „den Löffel hinzuwerfen“, gar weg zu fahren. Und tunlichst auch nur im November Urlaub zu nehmen, damit das graue, verregnete, kalte Deutschland sich in seine Hirnwindungen frißt und die passende Lebenseinstellung erzeugt.
Ja, gesoffen wird, rumgev..elt auch – irgendwie haben manche Chefredakteure überall Frauen und Kinder, vor denen sie flüchten, egal, ob sie von dem „ich bin hier Chef und darf mit allen Praktikantinnen“-Schlag sind oder vom „Kein Sex bitte, ich bin Philosoph“-Kaliber.
Nur Spaß darf es natürlich keinesfalls machen, das ist uncool!
Dazu kommen dann natürlich noch bei Online-Schreibern die Trolle, die meckern und die Entlassung fordern.
So sehr Journalismus früher Spaß machen konnte und immer noch könnte, ich habe erstmal ziemlich die Schnauze voll von diesem miesgelaunten Pack, das sich oft „Chef“ nennt. Es waren zwar nur etwa die Hälfte, die unangnehm war, und auch mit denen bin ich die meiste Zeit gut ausgekommen. Doch es kostet Nerven. Wenn sogar die Leser schon schreiben
Eure Zeitschrift ist ja ganz nett, aber muß der grimmig guckende Herr auf Seite 3 sein?
(ja, muß er, denn es ist nunmal der Chef und es ist nicht die B…, sondern die Computerb…).
und wenn man morgens erstmal in der „MoKo“ (Morgenkonferenz) reihum angeschissen und mit Sprüchen „motiviert“ wird wie
Das würde hier viel besser laufen, wenn ich euch alle rausschmeiße und das selber mache!!!
oder
Wem es hier nicht paßt, der kann sich ja den 5 Millionen Arbeitslosen anschließen!
da vergeht es dem engagiertesten Weltverbesserer, und er wird zum Zyniker oder Bettnässer. Denn die wahren Weltverbesserer im Journalismus sind schlimmer als die Puritaner.
(Und ja, bei den Bloggern gibt es auch ewige Maulbrüder, aber nicht nur, und manchmal durchaus mit Humor).
Kopf hoch! Es hilft ja auch den angesammelten Frust hie und da wieder auszukotzen. Wenn das dann so sachlich bleibt ist es umso befriedigender als dass es weniger angreifbar und konsensfähiger ist als eine Ansammlung aus Flüchen und Schimpfwörtern. Weitermachen, bitte!
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[…] ob sich das Anschauen lohnt. Doch mein damaliger Chef mochte Arte nicht, der steht leider mehr auf Unterschichten-Fernsehen mit Hartz-IV-Empfängern, die sich für ein paar € vor aller Welt zum Deppen machen. Für das Blog hier lohnt es sich […]
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